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Nachlese Herbstfachtagung November 2019

TL;TR Das Leben trägt einen oft aus der Kurve und Krisen können als Lernchance gesehen werden. Dennoch ist sich bewusst zu machen, dass sich ein Einlassen auf das Scheitern einem unheimlich schwer gemacht wird.

50 Teilnehmer/innen nahmen an der diesjährigen ÖBS-Fachtagung  zum Thema "Scheitern und Erfolg in der Sportpsychologie" am 15./16. 11.2019 in Salzburg teil.

Dr. Fritz Weilharter, Obmann des ÖBS, begrüßte alle ÖBS-Mitglieder sehr herzlich und eröffnete mit seinem Vortrag  "Psychologische Grundlagen des Scheiterns" die Fachtagung. Es wurden viele Fragen rund ums Scheitern und die psychologische Haltung dazu dargestellt: Welche Haltungen begünstigen ein immer wieder Aufstehen nach einem Scheitern? Sind wir im Leistungssport dem Scheitern hoffnungslos ausgeliefert, da die Niederlage sicher kommen wird? Ist Erfolg ohne Kränkung des Selbst überhaupt möglich? Und welche psychischen Anteile in mir zeigen den Schmerz?  

Das Leben trägt einen oft aus der Kurve und Krisen können als Lernchance gesehen werden. Dennoch ist sich bewusst zu machen, dass sich ein Einlassen auf das Scheitern einem unheimlich schwer gemacht wird. Es ist eine Auseinandersetzung mit der eigenen Begrenztheit und diese anzuerkennen schmerzt. Vielleicht ist man aber auch gar nicht gescheitert, sondern nur den falschen Werten nachgehangen. Scheitern bedeutet einfach oft nur, dass wir auf den Boden der Tatsachen zurückkommen.

Dr. Patrick Bernatzky stellte im Anschluss 30 Statements von Sportler/innen, Trainer/innen und einem Mönch vor, die er zum Thema Erfolg und Scheitern interviewt hatte.
Zusammenfassend wurde von den Interviewten betont, dass für sie wichtig ist bei Niederlagen nach vorne zu schauen, das Positive darin sehen; dranbleiben und geduldig warten; Schritt für Schritt denken und daran arbeiten besser zu werden. Scheitern ist sehr subjektiv, ich bin zwar 4. und nicht 1. aber ich habe etwas dazugelernt, daher bin ich nicht gescheitert. Am Ergebnis bin ich gescheitert. Wichtig ist weiter an sich zu glauben und dranzubleiben, irgendwann wird man dafür belohnt. Das Leiden annehmen. Scheitern gehört zum Leben dazu – das zu erkennen und nicht darin verhaften bleiben ist wichtig. Ich muss weitergehen und den Fokus auf mein Ziel richten. Scheitern ist ein Prozess, den man im Leben durchmacht. Erfolg ist das Hauptwort für Gelingen – was man vorher nicht hat, ein nächster Schritt den man erreicht hat, hat nicht unbedingt mit einem Sieg zu tun. Scheitern liegt im Sinne des Betrachters, wenn man aus dem Scheitern stärker wird, dann ist es kein Scheitern. Leute, die gelernt haben zu verlieren, können einen Sieg erst richtig schätzen. Scheitern ist die Folge einer falschen Zielsetzung. Egal ob Sieg oder Niederlage, wichtig ist die Analyse danach. Misserfolg kann sich in einen Erfolg verwandeln: wenn sich eine Tür schließt, dann öffnen sich 10 neue. Egal ob Erfolg oder Scheitern – die Wirkung auf mein weiteres Handeln und Denken ist das Entscheidende. Scheitern kann auch ein Zeichen dafür sein, dass man den falschen Weg eingeschlagen hat.

Mag. Thomas Kayer ließ die anwesenden Kolleg/innen in einem Workshop ihre Perspektiven zu Scheitern und Erfolg erarbeiten und zeigte sehr anschaulich auf, dass auf der Ebene der Arbeit von Sportpsycholog/innen das Scheitern sehr differenziert betrachtet werden muss.

Am Abend folgte das traditionelle Come-Together der ÖBS-Mitglieder beim Simmerlwirt, wo nochmals viel über den Tag reflektiert und die Vernetzung untereinander intensiviert wurde.

Der Samstag begann wieder mit der Vorstellung neuer ÖBS Mitglieder 2019.

Danach referierte Univ.-Prof. Dr. Günter Amesberger zur Trainer/innen-Perspektive und Scheitern. Merkmal von Trainer/innentätigkeiten, bezieht sich auf Ziele und Ergebnisse, die andere Subjekte, die Sportler/innen, in ihrer Tätigkeit erbringen. Es ist daher immer ein Stück Fremdbestimmung da. Trainer/innen müssen ihre Tätigkeiten an objektive Gesetzmäßigkeiten und an der erreichten Entwicklung der biopsychosozialen Leistungsvoraussetzung der Athlet/innen orientieren. Leistungen der Sportler/innen sind immer auch von den Trainer/innen abhängig: deren Bedürfnissen und Interessen, deren Ansprüche und Absichten. Die Trainer/innenperspektive wäre dann Druck aus dem System raus zu nehmen (Erwartungen von Sportlern selbst und ihrem Umfeld). Die Rückwirkungen aus den Tätigkeiten verändern auch den/die Trainer/in, insbesondere in seinen Fähigkeiten, seinem psychophysiologischen Zustand, Einstellung und Bedürfnisse. Die Art der Selbstreflexion und Auseinandersetzung mit der eigenen Tätigkeit spielen dabei eine besondere Rolle. Erfolg und Scheitern von Trainer/innen kann nur vor dem Hintergrund von Zielen angemessen bewertet werden.

Scheitern gilt als alltägliches Ereignis: Ehen zerbrechen, Gipfel werden nicht erreicht… Im Sport betrifft dies Jeden, der nicht Erster wird. Im Sinne der Feedback Intervention Theory kann Scheitern immer auf drei Ebenen interpretiert werden. Dies kann als transaktionaler Prozess beschrieben werden: Lernen – Selbstkonzept– Motivation. Scheitern ist auch eine soziale Konstruktion. Im Wesentlichen bestimmt die Gesellschaft bzw.  das soziale Umfeld, ob ein/e Trainer/in gescheitert ist.
Scheiterbewältigung kann auch als Stressbewältigung angesehen werden. Ein Scheitern, das weh tut, dem fehlen dahinterstehende Ziele. Wichtig ist darauf zu schauen: Was tut sich in der Bewertung der Sportler/innen und Trainer/innen. Die Tiefenstruktur des Scheiterns zeigt, dass die Betroffenheit durch Scheitererfahrungen stark von früheren Erfahrungen, aktueller sozialer Sicherheit und der existentiellen Betroffenheit/Identifikation abhängig. Bei totalem Scheitern wird auf die individuellen Überlebensmuster zurückgegriffen, wie Scheitern als narzisstische Kränkung der Macht und Machbarkeitsillusion, Scheitern als Zeichen der Hilflosigkeit und gescheiterter Trauerarbeit, Abspaltung von der Wirklichkeit (berührt mich nicht, ich muss weiterdenken) oder  Scheitern als Enttäuschung und Abrechnen mit der Welt als depressiver Rückzug.

Ein weiteres Highlight der Tagung war der Vortrag von Mag. Toni Innauer zum Thema "Scheitern und Erfolg aus der Perspektive eines Olympiasiegers, Trainers und Sportdirektors". Mag. Innauer berichtete sehr lebendig aus seiner Biographie und dass sein Umgang mit Scheitern schon in der Kindheit geprägt wurde. Auch in der Schulzeit im Skigymnasium Stams waren die motorischen Lernprozesse als "kleine Schule" des Scheiterns enorm wichtig im Prozess. Die vorausschauende Anerkennung und tiefe Vertrauen des damaligen Trainers Baldur Preiml gab enorme Sicherheit beim Sich-Ausprobieren. Weiters berichtet er von zahlreichen Situationen des öffentlichen Scheiterns als Trainer der Skisprungnationalmannschaft und seinem Umgang damit.
Den Abschluss machte Mag. Simon Brandstätter und lud alle Anwesenden zu einer spannenden Reflexion und Diskussion zu Rollenbildern der Sportpsychologie ein. Erarbeitet wurden Rollenzuschreibungen von außen an Sportpsycholog/innen, deren Auswirkungen und welcher Umgang damit möglich ist.  
Insgesamt war die heurige Fachtagung wieder eine großartige Mischung aus Wissen, Praxis und Vernetzung. Wir bedanken uns bei allen teilnehmenden ÖBS-Mitgliedern sehr herzlich für euer zahlreiches Kommen, den fachlichen Input und Offenheit in der Diskussion.

Wir freuen uns schon euch alle bei der nächsten ÖBS-Herbstfachtagung am 13. und 14. November 2020 wieder begrüßen zu dürfen! 

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