Inhalt:
- ÖBS-Fachtagung: Stressmanagement – zwischen Burnout und fokussierter Aufmerksamkeit
- ÖBS-Mitarbeiterinnen im Portrait: Mag. Simone Tscherntschitz, ÖBS-Kompetenzzentrum Innsbruck
ÖBS-Fachtagung: Stressmanagement – Zwischen Burnout und fokussierter Aufmerksamkeit
Wie lässt sich das Erholungs-Belastungs-Management im Rahmen eines olympischen Zyklus optimal steuern?
Welche Anforderungen an ein sportpsychologisch gestütztes Stressmanagement bestehen im Nachwuchssport?
Im Rahmen der Fachtagung Ende Mai in Wien stellte das ÖBS-Team konkrete Strategien vor.
Taktische Fehlschlüsse oder misslungene Bewegungen: eine ungenügende Erholungs-Belastungs-Bilanz macht sich unter Wettkampfbedingungen rasch in Form markanter Fehlleistungen bemerkbar. „Allerdings müssen wir dabei genau zwischen objektiv hohen Belastungen, die physiologisch messbar sind, und dem subjektiven Erleben der Athletinnen und Athleten unterscheiden“, betont der erfahrene Sportpsychologe und ÖBS-Geschäftsführer Univ.-Prof. Dr. Günter Amesberger. So könne das Gefühl „Ich schaffe es nicht (mehr)“ einerseits mangelnde Willensspannkraft oder andererseits physiologische Erschöpfung als Ursache haben bzw. können auch beide Aspekte zusammenspielen. Beeinflusst wird das subjektive Empfinden zudem von aktuellen Erfolgen oder Misserfolgen: „In der Erfolgssituation haben Sportlerinnen und Sportler rasch das Gefühl, beinahe jede Situation kontrollieren zu können; Misserfolg ruft dagegen meist ein Gefühl des Kontrollverlustes hervor, was wiederum zu Erschöpfungsgefühlen führen kann“, erklärt Amesberger.
Mit Hilfe der sportpsychologischen Beratung könnten Athleten lernen, bei hohen Anforderungen realistische und so genannte funktionale Einstellungen gegenüber Erfolg und Misserfolg zu entwickeln. Funktional ist eine Einstellung dann, wenn der Athlet selbst angesichts von Misserfolgen sich weiterhin an seinen Zielen orientiert und den Erfolg anstreben bzw. erwarten kann.
Individuelle Pausen-Strategien
Eine mögliche „Falle“ ist es zudem, vor sportlichen Großereignissen noch mehr Trainingseinheiten zu absolvieren als üblich. Speziell rund um Großereignisse ist zudem ein gezieltes Umfeldmanagement zu berücksichtigen: „Sportler schlafen mitunter bis zu 270 Tage im Jahr auswärts, auch das hat enorme Auswirkungen auf die Erholungs-Bilanz“, gibt Amesberger zu bedenken. Für eine optimale Erholungs-Belastungs-Bilanz müsse daher bei Trainings- und Wettkampf-Aufenthalten die Möglichkeit zum individuellen Rückzug gegeben sein. „Es besteht sonst die Gefahr, dass Sportlerinnen und Sportler in Folge herrschender Gruppennormen zu wenig auf ihre individuelle Erholung achten.“
Was Erholung ist, hängt allerdings stark von Person, Sportart und aktueller Trainingssituation ab: So kann Denksport z.B. nach anstrengenden Ausdauer-Trainingseinheiten durchaus als Erholung dienen, während anderswo gezielte Entspannungstechniken angeraten sind. Auch hier setzt die sportpsychologische Expertise an: ein Erholungs-Belastungs-Monitoring gehört genauso zur sportpsychologischen Betreuung wie das methodisch fundierte Erarbeiten von Entspannungs-Strategien.
Belastung im olympischen Zyklus
Eine besondere Herausforderung bedeutet die Erholungs-Belastungs-Steuerung für jene Athletinnen und Athleten, die auf eine Olympia-Qualifikation hinarbeiten bzw. sich bereits für die Olympia-Saison vorbereiten. „Zunehmendes Medieninteresse beispielsweise bedeutet einen zusätzlichen Stressor“, betont Dr. Björn Krenn vom ÖBS-Kompetenzzentrum Wien. Allerdings: Auch hier kommt es stark auf die subjektive Bewertung an: ein und derselbe Faktor kann einmal als Belastung und einmal als Herausforderung gesehen werden.
Dabei rückt Krenn die Leistungen der österreichischen Teilnehmer an Olympischen Sommerspielen in ein genaueres Licht: „Im Durchschnitt haben österreichische Teilnehmer an olympischen Sommerspielen seit 1948 jeweils zwei bis drei Medaillen errungen, Athen 2004 mit 7 Medaillen war dabei ebenso ein Ausreißer wie London 2012 mit null Medaillen (bei 17 Top-Ten-Platzierungen, Anm.). Österreichs Sommer-Medaillen-Bilanz ist dabei übrigens ganz ähnlich jener der Schweiz.“
Medienkompetenz als eine mentale Kompetenz
Um dem steigenden Medieninteresse im Vorfeld der olympischen Spiele gerecht zu werden, arbeiten die durch das ÖBS sportpsychologisch betreuten Rio-Kandidaten bei Bedarf auch an der Medienkompetenz, ebenso wie an der Prioritätensetzung im Sportler-Alltag oder konkreten Zielsetzungen für die Qualifikationsbewerbe. Auf diese Weise lernen Athletinnen und Athleten mit den zunehmenden Anforderungen „rund um den Sport“ besser zurecht zu kommen.
„Aus sportpsychologischer Sicht ist jedenfalls ein multidisziplinärer Zugang zu einer Olympiavorbereitung zu unterstreichen, bei dem die richtige Erholungs-Belastung-Dosis durch den zielgerichteten Austausch mit allen im Sport involvierten Ebenen bzw. Fachrichtungen ermittelt wird“, betont Krenn. Dazu gehören neben Verbänden und Trainern auch Personen aus Sportmedizin, Physiotherapie sowie Sport- bzw. Trainingswissenschaft.
Auf sportpsychologischer Ebene haben jene Athleten, die im Rahmen des Projektes Rio 2016 von Experten aus dem Pool des ÖBS betreut werden, den wesentlichen Vorteil, dass sie auf Basis der ÖBS-Diagnostik maßgeschneiderte mentale Trainingsprogramme erarbeiten können und genaue Kennzahlen zu ihren Fortschritten erhalten (vgl. ÖBS-Jahresbericht 2014). „Die Sportpsychologie ist innerhalb der heimischen Sportlandschaft auch der einzige Fachbereich, der durch das ÖBS in sich vollständig vernetzt ist“, ergänzt Amesberger.
Erholungs-Belastungs-Management in der sportlichen Entwicklung
Dass ein gezieltes Erholungs-Belastungs-Management bereits in der Nachwuchs-Arbeit verankert werden muss, betont Dr. Thomas Wörz, Vorsitzender des Verbands Österreichischer Nachwuchsleistungssportmodelle (VÖN) sowie ÖBS-Mitglied. „Bei vielen Talenten ist allerdings angesichts der komplexen Anforderungen zwischen Schule und Training die Frage zu stellen, wer das Gesamtbelastungs-Screening übernimmt.“ Im Rahmen der Modulserie „Sportpsychologie und Mentalcoaching“, die durch die Kooperation mit dem ÖBS heute an allen 13 heimischen „Schule & Sport-Modellen“ angeboten wird, ist Erholungs-Belastungs-Management jedenfalls ein zentrales Thema. „Zum einen lernen die Talente gezielte Entspannungstechniken wie etwa Ruhebilder einzusetzen. Diese Techniken sind in Stresssituationen rasch abrufbar und wir haben damit auch bei Hochleistungssportlern bereits sehr gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Wörz. Zum anderen wird im Rahmen der Modulserie an einigen Standorten bereits ein Erholungs-Belastungs-Screening angeboten. „Bei auffälligen Ergebnissen kann das Gespräch mit dem betreffenden Sportler gesucht und konkrete Maßnahmen empfohlen werden“, sagt Wörz.
Fest steht aus Sicht der Sportpsychologie jedenfalls: Im Nachwuchs- wie im Hochleistungssport ist eine gezieltes und zunehmend selbstverantwortlich gesteuertes Erholungs-Belastungs-Management eine zentrale Kompetenz, die für die Athletinnen und Athleten eng mit der Selbstwirksamkeit verknüpft ist. „Wenn ich erlebe, dass ich mich bei Bedarf rasch entspannen kann, meinen Spannungsregler gewissermaßen selbst in der Hand habe, dann hat das nicht nur positive Auswirkungen auf meine gesamte sportliche Kompetenz sondern auch auf viele andere Lebensbereiche“, betont Wörz.
Im Portrait: Simone Tscherntschitz, ÖBS-Kompetenzzentrum Innsbruck
In Eigenverantwortung und in größtmöglicher Freiheit, das eigene sportliche Tun und Handeln zu gestalten: Auf diesen Prinzipien ruht die sportpsychologische Beratungs-Tätigkeit von Mag. Simone Tscherntschitz. Seit 2005 ist Tscherntschitz, die bereits 2000 die Ausbildung zur Sportpsychologin absolviert hat, Mitarbeiterin am ÖBS-Kompetenzzentrum in Innsbruck - zunächst in Vollbeschäftigung, seit der Geburt ihrer Tochter und ihrer Karenzzeit teilt sie sich die Stelle nunmehr mit ihrer Kollegin Mag. Mirjam Wolf. „Für mich gilt mit den Worten Viktor Frankls, dass der Mensch stets als Einheit zu betrachten ist“, sagt Tscherntschitz. In der Tätigkeit im und um den Leistungssport schätzt sie vor allem die Arbeit in multiprofessionellen Teams und strebt wo immer möglich eine konstruktive Zusammenarbeit mit allen Personen an, die mit und um die Sportler-Persönlichkeiten tätig sind. Neben der Beratung/Betreuung von Athleten, Trainern und Verbands-Funktionären ist Tscherntschitz am ÖBS-Kompetenzzentrum in Innsbruck unter anderem für die sportpsychologische Testung von Athletinnen und Athleten zuständig.
Ihr Karriereweg führt die aus Götzis stammende Vorarlbergerin über das Psychologie-Studium an der Universität Innsbruck (Diplomarbeit über die Auswirkungen sexueller Gewalterfahrung auf das Körpererleben der betroffenen Frauen) und die Fachausbildungen in Sportpsychologie sowie für psychosoziale und sozialpsychiatrische Arbeit zunächst in den sozialtherapeutischen Bereich, wo sie in der „Gesellschaft für Psychische Gesundheit“ oder in einer Frauenberatungsstelle mitarbeitete. Den Sprung in die Sportpsychologie und zum damals neu gegründeten ÖBS vollzog sie nach der Karenzvertretung als Sportpsychologin am Institut für Herz-Kreislaufmedizin der Universität Innsbruck. Parallel zu ihrer beruflichen Tätigkeit hat Tscherntschitz das psychotherapeutische Propädeutikum sowie den Lehrgang für Klinische und Gesundheitspsychologie abgeschlossen.